Immer mehr Bauern kehren wieder zurück zur konventionellen Landwirtschaft, Bio ist nur was für Privilegierte, Bio lohnt sich nicht für die Landwirte und noch viele weitere Headlines machen in letzter Zeit die Runde; ist Bio schon am Ende? Eine Insideranalyse.
Zunächst müssen wir verstehen: Bio an sich gibt es nicht
Ich musste immer wieder feststellen, dass die meisten Menschen gar nicht wissen, was „Bio“ eigentlich bedeutet. Auf der einen Seite ist die Meinung der Konsumierenden zu Bio vom Preis beeinflusst (also nur etwas für Spitzenverdiener) und auf der anderen wird Bio mit einer Landwirtschaft voller Blumen, fröhlichen Kühen und Bauern assoziiert, die ihr Getreideähren streicheln. Oder?
Bio kommt vom griechischen Wort bios, was Leben bedeutet. Im Kontext der Nahrungsmittel deutet es auf eine Gruppe von Produkten hin, die ein Label haben, auf denen dieses Wort steht. Ein Label, das überhaupt nicht einheitlich ist. Es gibt viele verschiedene Organisationen, die ein solches Label vergeben, wenn sich, bei ihnen angemeldete Produzenten an gewisse Richtlinien im Erzeugungsprozess halten. Richtlinien, die aber die Organisationen selbst bestimmen. Das ist auch der Grund dafür, warum das Biolabel auf den Produkten, die wir im Laden kaufen können, immer wieder etwas anders aussehen; aber meistens in Grün. So stellt der Schweizer Zertifizierer „Bioknospe“ andere Anforderungen an seine Produzenten wie z.B. das deutsche Bioland, Bio EU oder sogar Eigenbiomarken wie Bio Organic von Lidl. Auch wir haben unsere Erdbeeren als Erdwandler Bio verkauft. Prinzipiell kann sich jeder sein eigenes Bio-Label basteln.
Wobei sich die verschiedenen Anbieter unterscheiden, kann auf deren Webseite oder Broschüre nachgelesen werden.
Demeter noch strenger als Bio
Demeter ist ein Label, das sich an den Lehren des Anthroposophen Rudolf Steiner orientiert. Anders als die biologisch-organische (quasi das „klassische Bio“) beachten die Anbauweisen von Demeter auch feinstoffliche Prinzipien wie Äther, Wachstumskräfte und Energetisieren von Präparaten. Demeter gilt als das Bio von Bio und hat sich mittlerweile sogar im Sortiment von grossen Detailhändlern etabliert. Von Demeter gibt es nur ein Label.
Argumente gegen Bio
Grundsätzlich vertritt Bio eine Form der Landwirtschaft, die auf synthetische Pestizide verzichtet, auf tiergerechteren Haltungsformen und auf bodenschonenderen Anbauweisen fusst. Der Schweizer Biopionier Hans Rusch fasste das Ganze in seinem berühmtesten Zitat zusammen: „Nur Leben erzeugt Leben“.
Argumente gegen Bio
- Die konventionelle Seite der Landwirtschaft, zu deren Gegenbewegung Bio nun schon über 100 Jahre lang aufgestiegen ist, kritisiert einige Punkte mit schlagkräftigen Argumenten.
Biologische Landwirtschaft liefert tiefere Erträge und braucht für dieselbe Produktionsleistung mehr Land. Land, auf dem auch Naturschutzräume stehen könnten, die gegen den massiven Artenschwund der jetzigen Zeit entgegenwirkten.
Biolandwirte brauchen trotzdem noch Pestizide und müssen viel mehr Spritzen, als die konventionellen Kollegen, was Diesel verbraucht und den Ackerboden zusätzlich verdichtet.
Durch diesen Mehraufwand sind Bioprodukte deutlich teurer als konventionelle Erzeugnisse; deshalb nur für privilegierte Menschen ein elitäres Gut.- Die immer schärfer werdenden Biorichtlinien (die Landwirte müssen immer wieder teure Änderungen an ihren Produktionssystemen vornehmen, um das Label behalten zu können) und billigste Bioware aus dem Ausland machen das Geschäft nicht mehr lukrativ. Einige können sogar nicht mehr davon leben. Das ist im deutschen Bio-Tierproduktebereich deutlich zu spüren. In der Schweiz gibt es auf viele Güter saisonale Schutzzölle, die die ausländische Ware so teuer machen, dass es sich wieder lohnt, während der Saison (z.B. von Erdbeeren) wieder auf einheimische Produkte zurückzugreifen. Das gilt für die gesamte Schweizer Landwirtschaft und ermöglicht überhaupt noch eine rentable einheimische Landwirtschaft unter den „jetzigen Bedingungen“.
Dass Bio scheinbar nicht funktioniert zeigt sich daran, dass in letzter Zeit viele Unverpacktläden und sogar grössere Bioketten wie die Müller Reformhäuser Konkurs gingen.
Waren es 1950 noch 44% des Einkommens, das für Lebensmittel ausgegeben wurden, sind es 2022 nur noch 14.7%. (Statista.de Ausgaben) In der Schweiz sind es sogar nur noch 6.5% des Einkommens. Die Löhne in der Schweiz sind höher als in Deutschland.
Die Argumente der konventionellen Seite der Landwirtschaft sind legitim und einleuchtend. Der Wert der Nahrungsmittel ist tendenziell immer noch am Sinken in der Prioritätenliste der Bürger. Die global präsentierten Krisen lassen die Menschen eher sparen; zuerst bei den Lebensmitteln. Die konventionelle Produktionsweise kann diesen Trend besser bedienen als der Biosektor. Mit den steigenden Preisen aufgrund der Sanktionen und anderen marktbeeinflussenden, politischen Entscheidungen, immer trockener werdenden Sommer und dem dramatischen Verlust von fruchtbarem Ackerland weltweit, scheint die konventionelle Form genau die Bedürfnisse Zeit zu decken: Das Bedürfnis nach günstigen Nahrungsmitteln, die auf weniger Fläche und mit weniger Treibstoffverbrauch erzeugt werden können.
Ist Bio also ein diverseres, aber kostspieligeres und Ressourcenverbrauchendes Auslaufmodell?
Im Rekordjahr 2020 erlebte der Biomarkt einen Höhenflug, brach aber 2022 und Anfang 2023 wieder ein und stagniert nun in Deutschland auf 6.8% und in der Schweiz auf 11.8% (biosuisse.ch). Wenn man durch einen Supermarkt wie dem Schweizer Coop geht, könnte man meinen, dass 70% der Produkte Bio sind, soviel Marketing wird darum betrieben.
Die Biobranche steht vor grossen Herausforderungen
Wie auch die konventionelle Landwirtschaft steht Bio und der ökologische Landbau (hier der Unterschied) vor den Herausforderungen sich eines sich verändernden Klimas (meine Meinung dazu hier), immer mehr importierten Schädlingen/Krankheiten, Überbauung des Ackerlandes, Wasserknappheit, Verteuerung von Treibstoffen und einer gesetzlichen Exekutive, die oft sehr weit von der Praxis entfernt ist und ihre eigene Agenda verfolgt.
Soziale Herausforderungen
Involvierte in der Landwirtschaft und das Gros der Bevölkerung leben oft in zwei verschiedenen Welten. Während die einen mit den vielen Herausforderungen aus Politik, Klima und Preisdumping kämpfen, werden die Ansprüche an die Lebensmittel von den anderen immer höher, ohne dass sie bereit dazu sind, mehr dafür zu zahlen. Stadt und Landmentalität sind Welten voneinander entfernt; auch auf dem Land selbst tun sich Spalten auf.
Die Bedingungen der tierischen Produktion, deren Wert als Versorger des Volkes, die Ethik, die gesundheitlichen und die ökologischen Folgen werden immer häufiger in Medienberichten aufgegriffen und in der breiten Masse diskutiert. Alle Biolabels stellen speziell an die Tierhaltung „sehr hohe“ Anforderungen, die rein wirtschaftlich gesehen einen Marktnachteil für den Bauern bedeuten. Grössere Ställe, mehr Auslauf, teureres Biofutter und sogar die Restriktion von genmanipulierten Futtermitteln (ja, die konv. Landwirtschaft darf Genmais, Gensoja ect. als Futtermittel benutzen, woraus das „lecka Hünschen“ entsteht) sind Beispiele jener Schwierigkeiten.
Die erwähnte Wertschätzung von Nahrungsmitteln (mit anderen Haushaltsausgaben verglichen) verschwindet nur zu oft hinter Transport, Ferien und Unterhaltung. Hatten wir das mit dem günstigen Brot und den Spielen nicht schon mal?
Ausserdem stellt sich die Gesellschaft immer mehr die Frage, ob der Konsum tierischer Produkte überhaupt noch zeitgemäss ist; meine Meinung dazu kennt ihr ja. Bio hängt in diesem fundamentalen Wandel des Nachkriegskonsums mitten drin. Dazu kommt, das Menschen nicht gerade ehrlich sind, wenn man sie nach ihrem Konsum befragt. So behaupteten sie immer wieder, nur artgerecht gehaltenes Biofleisch ect. zu konsumieren. Der Marktanteil im Frischfleisch Segment in der Schweiz (mit dem höheren Bioanteil im Gesamtmarkt) liegt aber in der Realität nur bei 6.8%. Dennoch sind Fleisch, Milch und andere tierische Produkte immer noch die umsatzstärksten Biosegmente.
Ich beobachte zwei grosse Strömungen innerhalb des Biokonsums. Es scheint ein Alte-Leute-Bio (biologisches Einkaufen aller Lebensmittel) und ein Neues-Bio (Bioeinkauf mit noch weiterführenden ethischen und umwelttechnischen Anforderungen) zugeben. Mit dem Verlassen der gemeinsamen Werteschnittmenge trennt sich auch allmählich das zusammenführende Werteverständnis von Bio der verschiedenen Wertegenerationen. Die Einteilung in Altes und Neues Bio stammt aus meinen eigenen Beobachtungen, Recherchen zu der Ansicht von Bio in der Bevölkerung und den Analysen der Wertevorstellungen verschiedener Generationen innerhalb der Biokonsumierenden. Das heisst nicht, das sich alte Menschen per se nicht weiter für die Ethik interessiert, die weiter als die Bedingungen des Labels gehen. Bio alt ist aber für mich das gleiche alte System, nur in Bioqualität. Bio wird leider zu oft als die eine Lösung und Rückkehr zur Natur romantisiert.
Ironischerweise leiden auch Bioproduzenten an den übertrieben, romantischen Biovorstellungen ihrer Kunden. Es geschieht nur zu oft, dass diese dann jegliche Biolabels mit kleinen Familienbetrieben, Äckern voller Klatschmohn und glücklichen Kühen assoziieren. Dass Bio mittlerweile eine Industrie geworden ist und Grossbetriebe die Kleinen vom Markt drängen, kommt bedauerlicherweise nicht auf der anderen Seite an und es wird alles gekauft, worauf das Wort Bio steht.
Gleichzeitig lebt Bio auch von der Romantik. Lebensmittelqualitäten, Anbauweisen und gesundheitliche Unterschiede sachlich bewerten zu können, verlangt, dass man sich mit der Thematik auseinandersetzt. Die Werbung suggeriert mit Bio automatisch etwas Gutes, auf das man sich verlassen kann, ohne tiefer über die Hintergründe und die tatsächlichen Umstände nachdenken zu müssen. Wie jede Werbung besteht auch hier die Gefahr von Verklärung.
Klimatische Herausforderungen
Die Jahre werden tendenziell trockener und die Durchschnittstemperatur steigt. Wettermuster, auf die sich die Landwirtschaft jahrzehntelang verlassen konnte, ändern sich. Essenzielle Dinge wie Regen können kaum mehr in die Kulturplanung verlässlich eingeplant werden. Der Bedarf an technischen Hilfsmitteln (nicht Lösungen!) wie Bewässerungsanlagen steigen. Für kleine Betriebe, die sowieso nicht viel Kapital haben, immer wieder eine schwierige Hürde. Dazu kommen noch Lohnkosten, die entstehen, wenn z.B. durch Trockenheit entstandenes, unförmiges Gemüse nachsortiert werden muss oder die Arbeiter wegen häufigeren Starkregens nicht aufs Feld können. Aber genau bei den klimatischen Faktoren, kann man mit Bio langfristig viel erreichen; wenn die etablierten Anbaumethoden mit Techniken der regenerativen Landwirtschaft ergänzt werden. Bodenaufbauende Methoden (nicht nur im Bio) statt abbauenden, schafft langfristige Lösungen, die Wettereskapaden abpuffern können.
Durch die immer wärmeren Winter überleben auch mehr Pflanzenschädlinge, die früher durch harte Winter reduziert wurden. Sie sind dann schon früher im Jahr ein Problem und in grösserem Aussmasse als früher.
Ein grosser Teil des Biogemüses kommt aus südeuropäischen Ländern wie Spanien. Wir schauen hier aus dem Fenster und denken: „So schlimm kann das mit dem Wasser ja nicht sein, es regnet ja momentan jeden Tag“, während in Spanien grosse Teile des Landes, sich wegen Wassermissmanagement langsam in Richtung Wüste verwandeln. Für verfrühte Kulturen wie Erdbeeren, Melonen und Spargel wird in trockensten Gebieten noch das letzte Wasser weggepumpt; auch für Gemüse mit Biolabel.
Werte
Unsere Wertehaltung und die abgespeicherten Glaubensmuster ergeben am Schluss die Art unserer Handlungen. Werte sind etwas, das wir entweder von der Kultur, der Religion oder generell von unserem Umfeld mitbekommen. Es sei denn, wir finden sie selber; ein Prozess, der lange dauert.
Warum hadert die Biobranche meiner Meinung nach dann mit den Werten, obschon sie für Nachhaltigkeit, Bodenständigkeit und Natur, Mensch und Tier im Einklang (Leitspruch der Bio Knospe Schweiz) einstehen?
Als ich diesen Text in meiner Telegram-Community ankündigte und nach ihrer/eurer Meinung fragte, kam immer wieder das Thema „Getrenntsein von der Wirklichkeit“ hoch So müssen wir auch annehmen, dass es Menschen, die keinen Bezug zur Herkunft, Qualität oder Auswirkung ihrer Konsumalien haben, schwerer fällt, reflektierte Werte in sich zu festigen, die nicht nur auf den Bildern der Werbung basieren. Auf der anderen Seite, stehen Menschen, denen es oft schwerfällt, sich aus dem jetzigen Stand der Produkterzeugung weiterzuentwickeln; sie sind natürlich mit ihrem Einkommen an eine Stabilität des Marktes gebunden und Infrastruktur zu ändern ist kostspielig und zeitaufwendig. Dazu kommen noch die Ängste vor dem: „Ja was, wenn es schiefgeht?“. Jeder Nichtlandwirt muss verstehen, dass es oft Welten sind, die Konsumenten und Produzenten (auch im Bio) in ihrer Ansicht und ihren Werten trennen. Dabei meine ich nicht jene Werte, mit denen man vor Freunden, Verwandten und Fremden prallt (z.B. nur Fleisch vom lieben Bauern um die Ecke), sondern jene, die man wirklich zu leben versucht. Die Statistik zeigt es auf. Zwischen genau diesen vorgegebenen Werten und den tatsächlichen inneren Werten liegt die entscheidende Kluft. Je weiter die Welt des anderen, wo das gekaufte Produkt herkommt, weg von mir selbst liegt, desto weniger stark ist meine Loyalität in Zeiten, in denen nicht alles glattläuft. Z.B. Corona und die Massnahmen= Biomarkt explodierte. Ukraine-Situation=Menschen kaufen wieder sehr günstig, die Ferien müssen aber trotzdem sein. Auch Bio fusst auf Spekulation, wie jede andere Industrie auch. Das romantische Bild von Bio, Getreidestreicheln und Tante Emma, die ihren Stammkunden jeden Tag den Sellerie verkauft und so eine glückliche Lokalökonomie entsteht, ist wirklich nur in sehr wenigen Hofläden zu finden.
Dazu haben viele Menschen eine sehr seltsame Vorstellung davon, dass sie die Biobranche und somit die ganzen positiven Assoziationen am Leben erhalten, wenn sie im Reformhaus ein kleines Brot, einen Riegel oder eine Schokolade kaufen, den Rest aber beim Discounter konsumieren. Reformhausmitarbeitende bestätigten mir das. Auch als Selbstständiger (Autor, Landwirt, Maurer u.s.w.) erlebt man das immer wieder, wenn auch wohlhabende Kunden mit dir um den Preis streiten und einfach nicht einsehen wollen, dass die Preise für Güter nicht mehr auf dem Stand von 1970 sind. Sie wissen einfach nicht, mit wie vielen Kosten ein eigenes Unternehmen verbunden ist. Was es braucht, ist eine Gemeinschaft, die einen realistischen Bezug zu Kosten, Wert und Qualität hat. Dieses Gleichgewicht beruht auf Gegenseitigkeit und dem Vermeiden von Wucherpreisen, nur weil gerade Trend ist; die Betroffenen auf beiden Seiten mögen sich selbst in diesen Worten erkennen.
Politische Herausforderungen
Auch politisch hat es Bio nicht leicht. Mittlerweile werden biologische Anbaumethoden mit Subventionen gefördert, doch genug? Für einige Sparten ist es ein Leichtes, auf Bio umzustellen. Dabei muss nicht mal ein grundlegender Wertewandel des Produzierenden den Wechsel auslösen, sondern einfach die Möglichkeit auf mehr Staatsförderung. So ist es in der Bergzone 2+3 einfach, seinen Milchbetrieb auf Bio umzustellen, da viele Forderungen bereits erfüllt sind. Bergbauern setzen standortbedingt auf Grasfutter aus eigener Produktion. Sie halten so ihre Flächen schon seit vielen Jahren von der Verwaldung offen und nutzen sonst unproduktives Land, welches für den Ackerbau nicht geeignet ist. Das Land im Tal ist teurer und man kann intensiver wirtschaften; ein erhöhter Kraftfuttereinsatz ist ein Teil davon. In den Bergen gibt es viele Ökoflächen (Wiesen, die eine gewisse Anzahl seltener Arten beherbergt und nur 1-2mal pro Jahr gemäht wird), die vom Bund sehr gut subventioniert werden. Zusammen mit dem Biolabel ein sehr einträgliches Geschäft. Es wird sogar weniger produziert, aber die Verkaufsmenge ist am Schluss nicht immer der entscheidendste Faktor des Einkommens. Unter den Bauern hört man das nicht gerne, aber jeder weiss, dass es unter den jetzigen Bedingungen sonst schwierig werden würde.
Die Politik greift also in einen, sich eigentlich selbstregulierenden Markt ein. Auf der einen Seite ermöglicht sie so, dass eine einheimische Landwirtschaft überhaupt noch betrieben wird (ich glaube mittlerweile nicht mehr daran, dass die Bevölkerung alleine beim Wegfallen dieser Zahlungen einfach die lokalen Produzenten so finanziell stützen würde, damit diese nicht pleite gingen) und schafft Anreize zur Pflege von biodiversen Ökoflächen. Auf der anderen Seite wird künstlich ein Ungleichgewicht geschaffen. Umweltbelastende Produktionsweisen, wie der Massenanbau von Schweinen, Milch (obwohl kein nötiges Lebensmittel) u.s.w. werden mit dem Argument der nötigen Grundversorgung noch künstlich am Leben gehalten. Dass Hafermilch, die deutlich weniger Ressourcen braucht als Kuhmilch, im Vergleich so teuer ist, liegt alleine an den künstlichen, finanziellen Eingriffen.
Würden nur noch der Erhalt der tatsächlich wichtigen Ökoflächen und die, für die menschliche Ernährung notwendigen Lebensmittel (die Pflanzlichen) subventioniert, würde die Kalorienproduktion (die dem Endkonsumenten zur Verfügung stehen) auf dem ackerfähigen Land deutlich steigen. In der Schweiz wird etwa die Hälfte des Ackerlandes für die Erzeugung von Futtermittel verwendet. Man kann davon ausgehen, dass die Tiere, die damit gefüttert werden, rund 90% der Kalorien (d.h.der Fläche) nur für den Erhalt ihrer Lebensfunktionen (wie Körperwärme) verwenden und nur 10% zur Erzeugung von Körpermasse (Fleisch), Eiern und Milch verwendet wird. In Zeiten teurer Lebensmittel und immer mehr Menschen im Land, ein fragwürdiger Trend.
Die Bioproduktion besteht zu einem grossen Teil aber aus tierischen Produkten. Wird diese politisch verursachte Verbilligung hin zu jenen Produkten aufrechterhalten, wächst auch der pflanzliche Anteil im Bio nur mit der Nachfrage, die immer noch sehr preisabhängig ist. Dass normalerweise Nachfrage und Angebot den Preis entscheiden, nicht aber eine dritte Hand mit fast unbegrenzten finanziellen Mitteln (in dem Falle der Bund), sollte jedem klar sein. In der Realität entscheidet der künstliche Preis über die Nachfrage.
In Deutschland gibt es meines Wissens nach nicht einmal Schutzzölle (oder nur Agrarzölle für Produkte von ausserhalb der EU). Die Löhne in DE sind zwar einiges unter jenen der Schweiz, aber trotzdem höher als jene in Spanien (auch in der EU). Spanien hat genügend Sonne, billige Arbeiter und „noch“ genügend Wasser. Gewisse Biolabels kontrollieren auch die Arbeitsbedingungen und den Einfluss von Bio auf die Umwelt, doch das ist im Süden kein Standard. So gibt es auch Biomelonen aus Marokko, die das wenige Wasser der Wüstengebiete verbrauchen, in denen Sie angebaut werden. Es ist klar, dass diese Ware mit einem unschlagbaren Preis, ohne Schutzzölle nach Deutschland importiert, den heimischen Markt stark konkurrenziert.
Dazu kommen immer stärkere Regulationen der EU, denen vielen Landwirten die Berufsausführung fast verunmöglichen. Eine schwierige Situation für die Produzierenden, die rein politisch verursacht wird.
Ich belasse dieses Unterkapitel damit. Wohl wissend, dass die aktuelle Politik nicht unbedingt das Ziel einer wirklich nachhaltigen Entwicklung verfolgt…..du lieber Leser, liebe Leserin, darfst dir gerne deine eigenen Gedanken dazu machen.
Anbautechnische Herausforderungen
Bio ergibt weniger Flächenertrag. Das kann und konnte man immer wieder messen. Darum ist diese Form des Anbaus auch für viele keine zukunftsweisende; mehr Menschen brauchen schliesslich mehr Essen. Was ich vom Grundbedarf, Kalorien und der Qualität der Nahrungsmittel (oder sogar Lebensmittel halte), könnt ihr in den anderen Beiträgen nachlesen.
In seinem Buch, der grosse Weg hat kein Tor, beschreibt der japanische Bauer Masanobu Fukuoka, dass er in einigen Jahren gleich viel oder sogar noch mehr Erträge mit seiner natürlichen Landwirtschaft erwirtschaftete als seine konventionellen Kollegen. Seine Felder wurden durch seine spezielle Art des Anbaus immer fruchtbarer. Man darf sich in diesem Kontext fragen, ob Bio ohne Fokus auf aktiven Bodenaufbau und Humusregeneration bei immer weniger Fläche überhaupt noch Zukunft hat.
Das Problem in der Tierhaltung: Biorichtlinien verlangen mehr Platz pro Tier. Umbauten an Ställen, sowie sich erneuernde Tierschutzbestimmungen der verschiedenen Labels, sind aufwendig und teuer. Genau deshalb soll der höhere Preis der Endprodukte auch diese Leistung vergüten. Auch grosse Betriebe können auf Bio umstellen. Grössere Konkurrenten vertreten auch hier die Machtgefüge des alten Systems. Für Kleine ist es auch im Bio schwierig.
Im Ackerbau: Biologische Spritzmittel wirken meistens präventiv und nicht direkt schädlingszerstörend (also kurativ). Pilz- und Bakterienkrankheiten wie Monillia (Triebspitzenfäule im Kernobstbau), Alternatia an Sellerie, falscher Mehrltau an Weinreben oder Braunfäule an Kartoffeln- und Tomaten können grosse Ernteausfälle verursachen. Bio hat kurativ nur wenige Mittel zur Verfügung, verglichen zum riesigen Sortiment an Pestiziden, aus dem die konventionelle Landwirtschaft schöpfen kann. Der Pflanzenschutz selbst muss auch meistens öfter wiederholt werden, als es in der konventionellen Landwirtschaft der Fall ist.
Bsp. im Weinbau. Seit Jahren sind die eingeschleppten Krankheiten, der falsche und echte Mehltau, ein grosses Problem für europäische Weinsorten wie Blauburgunder, Riesling u.s.w. Beides sind Pilzkrankheiten. Der echte Mehltau ist oberflächlich und kann mit einer Veränderung des pH-Wertes auf dem Blatt (durch z.B. eine Natronspritzung) bekämpft werden. Der Falsche hingegen wächst durchs Blatt hindurch und spricht auf die wenigsten biologischen Fungizide an. Die gängigste Lösung ist Kupfer; ein Schwermetall, dass sich im Boden anreichert und das Edaphon (Lebewesen im Boden) gehörig beeinflusst. Kupferoxide sind Kontaktgifte, die nach einem starken Regenschauer wieder abgewaschen werden. So muss immer wieder gespritzt werden. Systemische Fungizide, gehen in die Pflanze rein und können nicht abgewaschen werden. Sie sind aber im Bio nicht zugelassen.
Eine mögliche Lösung böten sogenannte pilzwiderstandsfähige Rebsorten (kurz PIWI), die den Krankheitsdruck durch ihre Züchtung (sind meistens Americano-Sorten) aushalten und kaum gespritzt werden müssen. Der Weinmarkt ist aber zum grössten Teil noch auf die europäischen Klassikersorten ausgelegt; auch hier entscheidet die Nachfrage, was angebaut wird. Das neue Segment Naturwein (Achtung: Nicht unbedingt das gleiche wie Natursekt😁) scheint eine spannende Alternative zu bieten.
Bei der Unkrautbekämpfung ist Bio auf mechanische Mittel angewiesen. In der konventionellen LW kann auf Herbizide (also Gifte, die Pflanzen/Unkräuter abtöten) zurückgegriffen werden, während Biobetriebe ihre Kulturen hacken oder von Hand jäten müssen. In der Schweiz ist auch die Biolandwirtschaft auf ausländische Gastarbeiter angewiesen. Diese Arbeit ist weder gut bezahlt, noch in unserer Gesellschaft hochgeschätzt; ein echtes Problem, das sich während der „speziellen Massnahmen“ der letzten Jahre stark bemerkbar machte; kaum ausländisches Personal und keine inländischen Arbeiter, die Spargelstechen (u.a.) wollten. Lohnkösten sind die grössten Ausgaben eines LW-betriebes.
Chancen mit neuer Technologie
Die Technik im Agrarsektor entwickelt sich wirklich rasant. Mit feineren Sensoren, GPS, KI und schnellerem Datentransfer (z.B. durch 5G) sind Dinge möglich, die nur schon vor 10 Jahren als Traum galten. Selbstfahrende, unkrauterkennende und jätende Fahrzeuge mit autarkem Solarbetrieb (wie im Film Interstellar), Drohnen, die auf Demeterbetrieben die Kuhmistpräparate ausbringen und Blockchain-Technologie, die Rückverfolgbarkeit und den Handel mit Agrargütern revolutionieren. Eine grosse Hilfe und Chance für Bauern. Eine Hilfe, die aber ebenso leicht in eine Abhängigkeit von grossen Techkonzernen führen kann. Stell dir vor, ein gewisser Landwirt möchte einfach kein Gensoja anbauen und Zack, wird ihm sein Maschinenpark per Fernsteuerung abgeschaltet. Eine zunehmende Digitalisierung der Landwirtschaft hat grosse Vorteile und ebenso grosse Risiken, die sie mit sich bringt.
VPN-Verbindungen, lokale Server, cloudbasierende Systeme und leicht zu reparierende (modular austauschbare) cradle to cradle Technologie, könnten eine unabhängigere, sichere und selbstbestimmte Anwendung der neuen Technologien garantieren. Dazu braucht es aber Kompetenz, ehrliche Menschen und keine Kontrolltechnik, bei der wir uns fragen müssen: Gate`s eigentlich noch?
Wird Bio nun untergehen oder nicht?
Hatte mein Rindermast betreibender Nachbar also nun doch recht, mit seiner Aussage, dass Bio demnächst untergehe? Es gibt offensichtlich viele Schwierigkeiten. Ich würde sagen: ja und nein.
Bio wird momentan von den Grossdetailisten im Lebensmittelbereich übernommen. Kleinbetriebe werden stark konkurriert und oft nur noch von Menschen des ideellen Wertes wegen unterstützt (etwas drastisch ausgedrückt, ich weiss). Bio wird, wie die konventionelle Landwirtschaft, langfristig nicht Bestand haben können, WENN sich nichts in der Systematik ändert, wie wir Essen anbauen und welchen Wert es in der Gesellschaft hat. Mit dem rapiden Verfall der Humusschicht durch landwirtschaftliche Misspraxis und Überbauung fruchtbaren Ackerlandes in diesem Ausmasse, wird irgendwann nur noch der Indooranbau bleiben. Dann kommen Firmen, die uns weiss machen wollen, dass nur noch genetisch modifizierte Pflanzen auf diesen Äckern wachsen können.
Doch das muss nicht so sein; immer wieder beweisen weitsichtige Menschen das Gegenteil. Sie haben die Stärke und Resilienz, die destruktive Trägheit der Masse mitzutragen und trotzdem mit ihrer Tätigkeit in diesem System Bestand zu haben.
Die anderen Menschen jedoch, die nicht begreifen, dass Landwirtschaft ein kollektives Unterfangen ist und kein Konkurrenzkampf, werden langfristig nicht auf ihrer Schiene überleben können. Landwirtschaft gehört meiner Meinung nach ganz neutral (und bitte nicht mit diesem überromantischen Werbekitsch) in die Mitte unserer Gesellschaft. Sie ist systemrelevant; ihre Ausführung und den Wert, den sie in unserer Kultur bekommt, ist aber zukunftsrelevant.
Es tut wirklich gut zu sehen, dass die Landwirtschaft momentan einen fundamentalen Wandel erfährt. Einen Wandel, der auf beide Seiten kippen kann. Ein gut informiertes, klar denkendes/klar fühlendes Volk würde einen solchen Missstand und seine Tragweite schon lange erkennen. Desto mehr Menschen also sowohl von den Problemen, als auch von den Chancen der Landwirtschaft im Herzen einer Gesellschaft erfahren, desto eher kommt und besser wird eine enkelgerechte Zukunft. Agroforst, Permakultur, regenerative Landwirtschaft, natürliche Landwirtschaft, JADAM, natürliche koreanische Landwirtschaft, Elektrokultur, Himmelsakkupunktur und Orgonlenkung sind alles Werkzeuge einer Lösung, die, wenn global angewandt, noch unvorstellbare positive Auswirkungen haben können.
Landwirtschaft ist etwas Schönes. Vielleicht bekommt sie in der Zukunft noch einen schöneren Namen. Richtig verstanden, geschätzt und angewandt, kann sie dazu beitragen, die Erde wieder in Richtung Eden zu bringen.
Was jeder von uns sofort Beitragen kann
Mir selbst hat der Wechsel auf eine saisonale, vollwertige, kulinarische und vor allem rein pflanzliche Küche viele Erkenntnisse gebracht. Ich weiss, meinetwegen sterben keine Tiere mehr und ich brauche nur noch einen Bruchteil der Ressourcen (Land, Wasser, Diesel) für meine Ernährung, die ich früher für mich beansprucht habe. Das ist wirklich die einfachste und effektivste Entscheidung, die jeder und jede sofort in ihrem und seinem Leben umsetzen kann; somit kann jeder einen sofortigen und positiven Beitrag leisten. Die Bauern werden deswegen nicht aussterben, sondern einfach das anbauen, was eine pflanzlichere Ernährungsweise nachfragt. Sei dir sicher: In unseren Breitengraden ist noch soviel mehr möglich, als das, was zurzeit in den Supermärkten zu finden ist. Ich denke, desto mehr eine Kultur ihr Bewusstsein zu der eigenen Ernährung, Bekleidung und sonstigen Agrarprodukten entwickelt, desto selbstverständlicher wird die Eindämmung/Vermeidung umwelttoxischer Chemikalien sein. Vielleicht braucht es sogar irgendwann keine Labels mehr.
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Joscha Boner
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Quellen dieses Beitrages:
Absatzschwund bringt Biobauern ins Grübeln
Wie erfolgreich ist der Ökolandbau wirklich? – Kosten, Erlöse, Fakten
Haushaltsausgaben von Statista
Soziale, wirtschaftliche Situation Schweizer Bevölkerung
Basisbild des Titelbildes:
Foto von Mishal Ibrahim auf Unsplash
Biolabel: Dreamstime.com
Mein Verstand und meine Erfahrung als Primärerzeuger, studierter Biolandwird, Permakulturist und Mensch, der täglich mit der Biobranche und Lebensmitteln zutun hat. Kein Link dazu😁
Alle Quellen wurden zwischen dem 20.4 und dem 6.5.2023 aufgerufen.
Lieber Joscha, ich lese deine Texte immer mit viel Interesse. Auch diesen hier habe ich sehr umfassend gefunden. Danke dafür!
Ich starte aktuell unseren Permakultur Gemüse- und Beerengarten auf einem Biohof. Und ich werde deine Inputs aus diesem Blog-Beitrag hier einbringen, damit wir in Zukunft gewappnet sein werden.
Herzliche Grüsse – Flurina von hainkultur.ch
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Danke dir. Das mit dem Bio ist stark im Wandel. Da geht noch viel mehr…Positives:-)
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