Zone 5 ist Wildnis; unzähmbar und gefährlich! So würden noch immer viele Menschen denken, die nur die Technosphäre ihr Zuhause nennen. Fakt ist: Die Wildnis kann uns nähren, beschützen aber auch töten. Ebenso Fakt ist: Wir brauchen sie!
Geschätzte Leser*innen
In diesem Beitrag möchte ich euch ein weiteres mal nach dort draussen nehmen. Dort, wo der Schutz des gepflegten Gartens aufhört und die wilde Natur beginnt. Ich möchte euch zeigen, welche kulinarischen Schätze in jener Zone auf uns warten, die der intensiven Pflege der Gärtnerinnen und Landwirten entgeht und ihre ganz eigene Ordnung verfolgt. Ich spreche von Gemüse, das sich seinen eigenen Platz zum Wachsen ausgesucht hat. Es gedeiht genau an jenem Ort, wo es alles vorfindet, was es braucht. Kultivierte Pflanzen (d.h. vom Menschen gezüchtete und angebaute Gewächse) haben ebenfalls ihren Reiz, müssen aber auf einem Platz wachsen, der ihnen zugewiesen wird. Meist stimmt die Wurzelumgebung nicht und die kleine Pflanze muss sich erst einmal neu orientieren. Die meisten kommerziellen Gärtner*innen kennen die drei Hauptpflanzennährstoffe Phosphor, Kalium und Stickstoff, sowie die sechs Hauptmikronährstoffe. Dass sich in einer Pflanze über hundert Spurenelemente befinden können, wird bei der „Produktion“ der Nahrungspflanzen nicht beachtet. Wildpflanzen haben mehr Nährstoffe und heilsame sekundäre Pflanzenstoffe wie ihre kultivierten Verwandten. Sie bestechen durch enorme Geschmacksvielfalt und Heilkraft.
Disclaimer zu Beginn
Nicht alles was essbar ist, ist auch geniessbar; geschweige denn eine kulinarische Entdeckung! Jede Pflanze hat ihren eigenen Charakter, ihr eigenes Wesen und einen eigenen Geschmack. Ich rate Menschen, sich Zeit zu nehmen und ihre essbaren Lieblingsgewächse bestimmen. Für mich sind viele essbare Wildpflanzen Gewürz, da ein Salat aus ihnen einfach zu viel des Guten wäre. Beispiele dafür wären die kriechende Günsel, der Gundermann oder die rote Taubnessel. Tolle Pflanzen an sich, doch unglaublich geschmacksvoll! Die Frühjahrs- und Sommerpilze werden in diesem Beitrag nicht erwähnt. Dazu empfehle ich den Youtube-Kanal Buschfunkistan (unten verlinkt).
Anmerkung zu den verschiedenen Wildgemüsevarianten
Genau wie beim angebauten Gemüse gibt es verschiedene Varianten: Knollen-, Frucht-, und Blattgemüse. Nicht alle Pflanzenarten werden wahrscheinlich bei dir in der Umgebung vorkommen, da einige, wie der Bärlauch einen kalkigen Boden braucht. Wohnst du z.B. auf Granit (Grundgestein), dann ist es sehr wahrscheinlich, dass du ihn gar nicht bei dir findest. Keine Sorge, es gibt überall tolle Sachen. Wenn jemand sauren Boden hat, wachsen bei ihm/ihr vielleicht Engelsüsswurzeln, Sauerklee (auch unter Fichten auf Kalkböden), Sauerampfer oder Heidelbeeren, während Kalkbodenbewohner mit Bärlauch, Ackersenf, Gunderman und Waldmeister gesegnet werden.
Sich mit dem Wissen um wilde Heil- und Speisepflanzen zu beschäftigen, verbindet uns mit unserem Ursprung als Teil der Schöpfung und nicht als abgetrennter König der Nahrungskette. Wir sind, essen und unsere Körper werden wieder gegessen; dynamisch im wunderbaren Kreis der immerwährenden Transformation.
Züchten und kultivieren
Ich finde es toll, Pflanzen die mir schmecken anzubauen und zu fördern. Es ist das natürlichste der Welt. Wie du vielleicht schon gehört hast, wurde der Kulturapfel eigentlich von Bären gezüchtet. Bären haben eine unglaublich feine Nase und sind zum Teil sehr wählerisch bei der Auswahl ihrer Speisen. Die braunen Apfelliebhaber streiften einst durch die Wälder Kasachstans und frassen nur die süssesten und besten Äpfel. Ihre Samen wurden nach ein paar Tagen dann mit Dünger an einem anderen Ort abgelassen und verbreiteten sich so. Über die Jahrhunderte entstanden so leckere, bärenfreundliche Früchte. Der Mensch hat darauf einfach weitergemacht.
Vögel züchten ihre Lieblingssorten ebenfalls. Die besten Himbeeren werden gefressen, ihre Samen im Vogelmagen über viele Kilometer weit getragen und dann dort wieder abgeworfen, wo sie am besten keimen: unter Bäumen auf Humusreicher Erde. In den buschigen Vorwaldgehölzen wie Holunder und auch Apfelbäumen fühlen sich kleinere Vögel besonders wohl. Es kackt sich sonderlich besser, wenn man unbeobachtet ist. Unter Apfelbäumen finde ich immer wieder wilde Himbeeren.
Auch Brombeergebüsche werden so gesät. So entstehen von Dornen geschützte Brutstetten die ausserdem noch Früchte tragen. In jene Dornengebüschen fallen Samen von Bäumen, die wiederum geschützt von Rehen und anderen äsenden Tieren keimen und gedeihen können. Alles begann also mit den Vögeln, die ihre Lieblingsbeeren frassen und wieder säten.
Wenn wir wieder mit Wildlingen (Früchte die aus Samen wachsen und nicht veredelt werden) experimentieren, entstehen neue Sorten, die wir wiederum weitervermehren können und die genau an unser lokales Klima angepasst sind. Genau so wie die Wildpflanzen.
Ich habe es dieses Jahr fertiggebracht, eine Kulturhaselnusssorte mit grossen, wohlschmeckenden Früchten auf eine Haselstaude zu pfropfen, die vorher nur weinige kleine Nüsse trug. Die Staude ist also eine Wildpflanze aber träger einer Edelsorte…..die auchmal ein zufallsfund wahr.
Die Grenzen verschwimmen
Was ist also jetzt wild und was kultiviert? Wo hört Zivilisation auf und wo fängt Natur an. Mir persönlich ist es am wohlsten, wenn ich dogmatische Grenzen fallen lasse und alles als Teil eines grösseren und zusammenhängenden Ganzen betrachte. Wir sind Natur, Teil der Schöpfung und selbst Schöpferwesen. Wir verändern unsere Mitwelt wie es unsere Mitwesen auch tun. Ob wir das zum wohle des Ganzen machen oder nur aus Gier, Egoismus oder kurzsichtiger Ignoranz, liegt an uns. Meine Erfahrungen zeigen immer wieder, dass Dinge, die aus Liebe und mit den Prinzipien der Natur geschaffen werden am gesündesten und prächtigsten werden und bestehen. Die Genialität unserer Mitwelt lässt mich in Demut verfallen.


Das Wissen der Slaven
Ich habe einige Freunde aus slavisch sprechenden Länder wie Tschechien, Russland, Polen und Slowenien. Was mich an ihnen immer wieder fasziniert, ist ihr ungeheures Wissen über die Verwendung von Wildpflanzen und Pilzen. Sogar Menschen aus der Stadt scheinen sich damit erstaunlich gut auszukennen. Eine Freundin erzählte mir von den Polen und wie sie sich wärend der Mangeljahre des Krieges zu einem grossen Teil aus dem Wald ernährtenL; altes Wissen blieb so erhalten. Jedenfalls scheint der natürliche Umgang mit den wilden Geschenken ein Teil der slavischen Kultur zu sein. Kinder wachsen mit den wilden Geschichten über die Baba Jaga (das slavische Pondon zu unserer Frau Holle) und gehen mit ihren Eltern in den Wald Beeren pflücken. Bei uns ist der Wald aber grundsätzlich böser als in Osteuropa: Es lauern Zecken, der Fuchsbandwurm, Brennnesseln und Co :-). Aber auch im deutschsprachigen Raum gibt es langsam auch wieder Wälder an deren Ränder wieder Beeren wachsen und in jenen nicht nur fichtenspezialisierte Pilze überleben können (einige von euch verstehen, was ich damit gemeint habe). Das Bewusstsein für, und die Beziehung mit der Wildnis verändert sich auch hier rasant. Ich freue mich auf eine neue Wildpflanzenkultur in Mitteleuropa!
Wildpflanzen als Teil des Gartens
Wie schön ist es, nicht um jeden Salatkopf mit den Schnecken kämpfen zu müssen. Giersch zum Beispiel wächst zu hauf und lässt sich sehr gut mit den Blättern des Salatbaumes -der Linde- kombinieren. Aber auch wohlsmeckende Gemüsepflanzen die sich immer wieder selbstaussäen (z.B. Nachtkerze, Rapunzel, Bärenklette, Gemüsemalve, Mangold, Rucola, Neuseeländerspinat, Guter Heinrich u.s.w.) sind auf eine Art wild und wachsen genau dort, wo sie es wollen. Sie müssen nicht mehr gepflegt werden. Masanobu Fukuoka nannte das den halbwilden Gemüseanbau. Ich bin dafür, die Grenzen der mittelalterlichen Idee eines Gartens, eines sogenannten hortus inclusus aufzugeben. Diese Gärten waren meist in Herrenhäusern hinter hohen Mauern gegen die gefährliche Natur geschützt.Bei der Landbevölkerung ging dagegen Kultur- in Wildnis am Gartenrand über.
Lasst uns unsere Wildheit wieder leben und die Wildnis in unsere Gärten hohlen. Sogar Ziergärten können mit essbaren und/oder wilden Pflanzen durchsetzt werden und so den Übergang zur Umgebung nicht durch eine rechteckige Tujahecke zu nichte machen. Übergänge sind keine Grenzen, sondern Pfade die hinaus in etwas Grösseres führen!
Ich empfehle mit einer Ecke des Gartens zu experimentieren und Stück für Stück selbst zu spüren, was sich richtig anfühlt.
Dieser Beitrag soll Lust auf mehr machen und gleichzeitig einen anderen Blick auf die Schöpfung/Natur um uns herum geben, wenn auch einen kulinarischen!
Ist das etwa ein kleiner Brokkoli in der Sprossachse? Ach ne, aber Wiesenbärenklau! Beide Pflanzen liefern gesunde Wildsamen! Vor einer natürlich gewachsenen, essbaren Hecke. Giersch: Immer noch lecker. Dennoch verwende ich nur noch die jungen Blätter als Salat. Wildkirschen als Waldrandbaum. Etwas herb aber gleichteitig unglaublich süss und aromatisch.
Buchtipps
Wenn ihr mehr über essbare Wildpflanzen erfahren möchtet, dann kann ich euch folgende Bücher wärmstens empfehelen:
Guido Fleischhauers (at al.) Enzyklopädie der Essbaren Wildpflanzen
Die Buchreihe Nahrhafte Landschaft von Michael Machatschek
Blätter von Bäumen von Susanne Fischer-Rizzi
Die Bücherliste wird in den nächsten Tagen noch ausgebaut!
Nützliche Links:
https://erdwandler.com/2019/02/14/laub-eine-vergessenes-lebensmittel/ (Mein Beitrag zu essbarem Laub)
https://wildpflanzenliebe.wordpress.com (die Seite von Guido Fleischhauer)
https://www.youtube.com/channel/UCdC_O-II9DnIWh_BVM8mmow (der Youtubekanal Buschfunkistan zum Sammeln und Bestimmen von Wildpflanzen und Pilzen)
https://www.youtube.com/user/ebsonnic (der YT-Kanal Pflanzen Vielfalt: Botanisches und Unterhaltsames)
https://www.ewilpa.net/ (die Seite der essbaren Wildpflanzenparks)
https://mundraub.org/map#z=7&lat=50.91&lng=11.56 (Karte mit den verschiedensten Standorten von essbaren Wildpflanzen und verwilderten Bäumen im deutschsprachigen Raum)
https://www.youtube.com/user/wdstorl (der YT-Kanal von Wolf Dieter Storl. Ich wollte ihn zunächst nicht verlinken, da ihn sowieso schon jeder kennt. Trotzdem, er ist ne Wucht)
http://www.iforest.ch/index.php/de/ (eine Pflanzenbestimmungs-App. Fotomachen und bestimmen lassen….fast immer jedenfalls :-))
PS: Danke für die Geduld. Ich werde euch bald zeigen, an was ich die ganze Zeit gearbeitet habe🙂