Knapp 30 und doch im Opa-Modus


„Ach Kinder, geht raus die Welt entdecken!“, kam mir plötzlich, als mir ein Freund von seinem geplanten Yoga-Retreat erzählte. Ich musste schmunzeln. Da war er wieder, mein Opa-Modus. Ich fand die Alte-Leute-Dinge schon immer toll. Ich bewunderte die Gemütlichkeit der Älteren, das langsamere Tun, Vögel füttern, Stricken, Gärtnern, elegante Herrenhemden, für die Liebsten backen und allem voran: Lebenstipps geben.
Schon mein ganzes Leben lang teile ich meine Erfahrungen mit Menschen und wünsche mir, dass sie auch so schöne Dinge erleben könnten wie ich. Mein Leben ist und war voller Wunder. Schwierigkeiten gab es zu Genüge; die gab`s aber auch schon früher. Ich konnte mich mit dem Lebensstil, den meine Grossmutter in ihren Geschichten erzählte eher identifizieren, als mit den Adidas-Hosen, die man in der Schule haben „musste“. Dass Adidas nicht das Auto mit den 4 Ringen ist, interessierte mich eigentlich gar nicht. Pflanzen, die Tiere am eigenen Teich, das Kochen und die Geschichten von früher erfüllten mich mit Begeisterung.


Rückblickend habe ich oft Menschen Lebenstipps und Inspirationen gegeben, die viel älter als ich waren. Dass viele von ihnen so unglücklich und verbittert waren, ging mir einfach nicht in den Kopf. Wie konnte man so verbittert sein, wenn man Zeit, Geld, Lebenserfahrung, Können und Enkel hat? Lag es an mir, dass ich diese Menschen nicht genug von der Welt des Überflusses begeistern konnte, die ich täglich wahrnahm? Manchmal fühlte ich mich fast schuldig, dass es mir so gut geht und ihnen scheinbar nicht. Dass der frühe Zerfall ein Symptom der Resignation ist, wurde mir erst später klar.

Ich sah Menschen mit 40, die sich ständig über ihre Gebrechen beschwerten. Es mag sehr tragisch klingen, doch diese Beobachtungen lösten in mir eine tiefe Angst aus: „Ich musste mein Leben gelebt haben, bevor ich 30 Jahre alt werde, danach kommt die Phase des Zerfalls und des Trübsals!“ Obwohl ich diese Angst schon lange bearbeite, flammt sie immer wieder in mir auf. Die Gemütlichkeit, die Muse und Langsamkeit nach der ich mich so sehr sehnte, kann und konnte ich nur sehr schwer an mir annehmen; wohl wissend, dass das Glück in der achtsamen, dankbaren und ungehetzten Art des Lebens liegt. Meinen inneren Opa wirklich zu leben, ohne die Angst zu haben, in Verbitterung und körperlichem Zerfall zu enden, schien mir manchmal unmöglich. Zu meinem grossen Glück traf ich viele ältere Kaliber, aus deren Falten das Leben nur so herauszusprühen schien. Menschen die ihre Lebensfreude niemals aufgaben und immer wieder Vergebung und Heilung praktizierten. Eigentlich waren es immer schwere Schicksalsschläge, die ihren Werdegang prägten. Jeder dieser Erlebnisse machte sie jedoch stärker und noch dankbarer für alles, was sie hatten und waren.


Die Lebenstipps dieser speziellen Menschen, zeichneten sich durch ein liebevolles Wohlwollen und nicht durch die gängige Moralpredigt aus, mit der immer eine Enttäuschung vom Lebens mitschwang. Das Letztere sind die Rat-Schläge, die viele Alten einst selbst verpasst bekamen und nun als verletzte Wesen an die Jüngeren weitergeben, weil sie nicht zugeben können, selbst zutiefst verletzt worden zu sein. Aus der Weisheit des Herzens können nur jene sprechen, die es auch als höchste Instanz annehmen. Es sind die weisen (nicht unbedingt weissen) Ältesten, die unsere Gesellschaft in ihrem Innersten so sehr ersehnt und auch so dringend bräuchte. Es braucht Demut um Weisheit zu erkennen. Demut kommt als Resultat eines inneren Dialoges mit sich selbst. Das wiederum braucht Raum und eine gewisse Zeit der Reife, was wiederum ein Vertrauen und eine gewisse Langsamkeit voraussetzt, sich des eigenen Lebens hinzugeben. Es sind die Tugenden, die ich an so vielen Alten immer bewundere.

Für mich ist der „innere Opa“ zu einem wichtigen Teil der Lebensführung geworden. Ihn anzunehmen, ihm zu vertrauen und durch ihn das Leben mit einem gesunden Abstand zu betrachten, hilft mir dabei, in einer höhere Qualität zu Leben. Es hilft mir, in meinen noch jungen Körper zu schlüpfen und all mein Sein jeden Tag aufs Neue zu verkörpern; ganz im Vertrauen, dass ich immer dort bin, wo ich sein soll. Es besteht kein Grund zur Hast und die Vögel wollen schliesslich auch noch gefüttert werden.

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Titelbild: Foto von Aaron Andrew Ang auf Unsplash

1 Kommentar zu „Knapp 30 und doch im Opa-Modus

  1. Avatar von Gamma Hans

    Guten Tag.

    Zitat:

    Für mich ist der „innere Opa“ zu einem wichtigen Teil der Lebensführung geworden.

    Antwort:

    Die eigenen Kinder, Ihre Kinder, erziehen mich bis heute.

    Mit freundlichen Grüßen
    Hans Gamma

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